Vita - Stefan Tolksdorf M.A.

Bildgedanken, Gedankenbilder

zu den Arbeiten von Hans Benesch

Das Credo dieses Künstlers ist die Vielfalt, sein Hauptthema die Zeit. Den Augenblick fotografisch fest-, die Zeit gleichsam anzuhalten, ist das eine, sie durch Farbzeichnung und Übermalung quasi zu verräumlichen, das andere. Hans Benesch, der skeptisch-melancholische Beobachter und Welt-Flaneur aus Ebringen tut beides mit derselben handwerklichen Akribie und nicht nachlassender Experimentierlust.
In gleich zwei analogen Ausstellungen gibt er uns dieser Tage Einblick in seine bildpralle Werkstatt. Ein "Fenster zur Welt", wie es Alberti an der Schwelle zur Neuzeit forderte ist ihm das gemalte und übermalte Bild schon lange nicht mehr. Eher ein Ort und eine Quelle der Reflexion. Die Veränderung des Bildes beim Denken ist ihm ebenso wichtig wie das Nachdenken über das Wesen des Bildes als solchem, das heisst: seine Rolle in der bildsatten Mediengesellschaft. Noch eine Sensation hinzufügen? Danach steht diesem Arrangeur der leisen Töne nicht der Sinn. Ebenso wenig nach schrillen Gesten und aggressiven Kommentaren. Wenn etwa das Ornat des Papstes - es ist der jüngst heilig gesprochene Johannes Paul II. - durch Übermalung mit Lichtschlieren grün akzentuiert, ja übermäßig geschmückt erscheint, ist nicht zwangsläufig an Kirchenkritik zu denken. Der Kontrast zwischen Mensch und Rolle, Amt und Anspruch bleibt dennoch augenfällig. Hinter dem Bild des Kirchenoberhaupts vor der Skyline von Tokyo versteckt sich die Frage, wie zeitgemäß die Position eines solchen Stellvertreters noch ist.
Ebenso gut kann man das erste Bild aber als wirklich gelungene Synthese von Ornament und Fotoportrait in Warholscher Manier betrachten. Beneschs Bilder zielen auf keine eindeutige Begrifflichkeit, öffnen vielmehr einen nicht geringen Interpretationsspielraum. Nicht selten geschieht dies mittels Konfrontation, etwa zweier unterschiedlicher Materialien, in dieser Ausstellung durch Collage, Guache- und Aquarell über feinem Fotopapier. Dem vermeintlich Bodenständigen steht eine Leidenschaft fürs Reisen gegenüber, die sich auch in den hier gezeigten Fotoübermalungen und einigen ihrer Titel ausdrückt: "Unterwegs".
Seit mehr als vier Jahrzehnten beschäftigt sich Benesch mit dem fotografischen Medium, als ständiger Begleiter dieses Unterwegsseins, wobei seit einigen Jahren die Handy-Kamera neben die altbewährte Leica tritt. Inszeniert ist hier nichts; der Zufall oder Glücksfall dirigiert, und der lang geschulte Blick für originelle oder ästhetisch interessante Arrangements.Nicht fürs Spektakuläre, denn jeder Aplomb ist diesem stillen Mann zuwider. Gewünscht ist aber durchaus ein surrealer Eindruck, erst recht bei der Foto-Übermalung:
Akzentuierung, Aktualisierung und Befremden durch inhaltliche Verfremdung - so lässt sich dieses Verfahren auf den Punkt bringen. Hans Benesch liebt die Vielschichtigkeit und das Bild im Bild, auch wenn es manchmal absichtlich in die Ecke rutscht und das dominante Weiß keine Projektionsfläche mehr bietet. Zu vieles rutscht uns ja einfach nur durch, gerät in den Sog der Leere, die sich in den Köpfen zwangsläufig auszubreiten droht oder wird ganz bewusst an den Rand gedrängt: Gefahren beispielsweise - für die ein Mann mit Gasmaske steht. Aber wen geht er etwas an in seinem Eck? Wenn Benesch das Urelternpaar in der Version von Albrecht Dürer über einem Städtedschungel schweben lässt, ist in dieser Collage die Frage nach der Zukunft des Menschen mit gestellt - des Menschen in der Wabe. Und das Individuum? Dessen Fragilität kommt in einer schwarz-weißen Serie von Fotografien einer grübelnd Kauernden zum Ausdruck, die im fortlaufenden Kopiervorgang ihre Kontur verliert. Der Verlust einer Persönlichkeit im Prozess des Denkens?
Das Fadenknäuel über und zwischen Personen, die sich ziellos im Bildraum bewegen, lässt an das Dickicht der Welt im romanischen Figurenfries denken - ein Gespinst, dass sich in Zeiten umfassender digitaler Vernetzung womöglich unheilvoll verdichtet.
Dann eine Reihe von - wie ich finde, augenschmeichelnd farbschönen Bildern, deren Informationsgehalt sich auf kontrastive, blühende Farbwerte reduziert, wobei Beneschs Vorliebe für warme Rot- und Gelbtöne durchaus anziehend ins Auge fällt. Es handelt sich um fototechnische Raffinessen, von ihm selbst "Luxographien" genannt, bei denen der Leuchtstift an die Stelle des Pinsels tritt.
Doch zeigt er auch analoge Fotografien von Schilf - für Blaise Pascual Synonym menschlicher Standhaftigkeit- und eine einsame Reihe junger Dattelpalmen, an die sich kein Fernweh mehr bindet: Chiffren der Verlorenheit. Und es gibt es Arbeiten, die ich unter den Begriff "Schriftbilder" zusammenfasse. An Graffiti erinnernd, verwehren jedoch jede Information, bleiben unlesbar als sabotierten sie die Informationsgesellschaft. Das Enigmatische in den Arbeiten von Hans Benesch ist indessen ein stehendes Motiv, wie das geschlossene oder übermalte Fenster in seinen Rasterbildern, die für überlappte und verlorene Erinnerungen stehen. Oder er geriert gleichsam ein Piktogramm für den Begriff "Häuslichkeit". Kann man sich in Hans Beneschs Bildern zuhause fühlen?
In einigen gewiss, auch wenn sie nicht unbedingt leicht bewohnbar sein sollen - schon weil der Künstler auch mal gern mit warmen Tönen schmeichelt.
Er selbst ist es ohne Frage, auch wenn er den klassischen Werkbegriff negiert -  zuhause in den Facetten, Chiffren und Fragmenten eines Lebens, um dessen inneren Reichtum er wohl selber am besten weiß.
Genug allemal für Legionen neuer Bilder!

Stefan Tolksdorf M.A., Kunsthistoriker


Bilder Vita Kontakt Start Impressum